Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Hier geht es um wissenschaftliche Aspekte des Schneckenlebens.

Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 18.10.2021, 09:54

Ein kleiner Beitrag aus der Rubrik „Kurz und uninteressant“:
Ich habe vor etwa zwei Jahren mal herumgegrübelt, wie eigentlich die unterschiedlichen Farbmuster/Zeichnungen auf bzw. in der Schale der Gehäuseschnecken entstehen. Man gönnt sich ja sonst nix………. .
Zunächst eine ganz kurze Einleitung:

Die Lebensfunktionen aller Lebewesen werden (unter anderem) durch unseren Besitz an „Erbanlagen“ (= Genen) bestimmt. Ein Gen muss aber nicht immer aktiv sein, es kann auch „abgeschaltet“ werden und ruht dann fröhlich vor sich hin, ohne sich auszuprägen. Gene können also „angeschaltet“ sein (aktiv) oder ausgeschaltet (passiv, ruhend). D.h. es kommt nicht nur darauf an, welche Gene (präziser: „Allele“) wir haben, sondern welche Gene in einer bestimmten Lebensphase gerade aktiv sind und welche „stumm“ sind. Genau mit dieser Steuerung unserer Erbanlagen beschäftigt sich der relativ neue Bereich der „Epigenetik“, der seit einigen Jahren geradezu explodiert. Details lasse ich hier jetzt weg.
Das Ganze kann man vielleicht grob mit einem Tasteninstrument (z.B. einem Klavier) vergleichen: da kommt es ja auch nicht nur darauf an, welche Tasten zur Verfügung stehen, sondern darauf, welche Tasten wann angeschlagen (also "aktiv") werden.

Was hat aber nun die Epigenetik mit den Mustern von Schneckenschalen zu tun? Sehr viel.
Das Wachstum von Weichtier-Schalen erfolgt grundsätzlich am "Wachstumsrand". Dieser entspricht der "Mantelkante" (= "Mantelrand"), also dem Rand des "Mantels", der die Eingeweide umhüllt. Bei Gehäuseschnecken befindet sich die Mantelkante an der Mündung der Schale. Hier wird das Periostrakum gebildet (also die äußerste organische Schicht), dann auch die Kalkschicht und schließlich können hier unterschiedliche Farbstoffe (= Pigmente) in die neugebildeten Randbereiche der Schale eingelagert werden. Der Mantel (und damit auch die Mantelkante) besteht natürlich aus Zellen mit ihren Erbanlagen (= Genen). Einige dieser Gene sind für die Bildung der Farbstoffe zuständig. Wie viele Gene können diese Erbanlagen gesteuert werden, d.h. diese Gene sind nicht immer aktiv, sondern sie können "an-" und "abgeschaltet" werden (s.o). Ein angeschaltetes Gen wird dann (in diesem Fall) zur Bildung von Pigmenten führen, ein abgeschaltetes Gen ist inaktiv, so dass keine Farbstoffe gebildet werden. Je nachdem, in welchen Zellen der Mantelkante diese Gene in einem bestimmten Moment gerade aktiv bzw. inaktiv sind, können logischerweise unterschiedliche Muster entstehen. Dazu zunächst ein ganz simples Beispiel.

Dunkle Bereiche der Schale, die vor hellem Hintergrund parallel zu den Windungen verlaufen (also wie diese auch eine Spirale bilden), werden als "Bänder" bezeichnet. Das demonstrieren naheliegenderweise sehr eindrücklich die sog. "Bänderschnecken".
Entstehung von Bändern: einzelne Bereiche der Mantelkante bilden dauerhaft Pigmente, dazwischen liegen Bereiche, in denen dauerhaft keine Pigmente gebildet werden:

Hier entstehen also zwei dicht benachbarte dünne Bänder und mit etwas größerem Abstand ein dickeres Band.
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 18.10.2021, 09:58

So, und was ist jetzt mit Streifen?
Farblich abgesetzte Bereiche parallel zum Wachstumsrand (vor hellem oder zumindest andersfarbigen Hintergrund) nennt man "Streifen". Sie entstehen, wenn nach einem festgelegten zeitlichen Muster mal alle Zellen des Wachstumsrandes Pigmente bilden, zu einem späteren Zeitpunkt dann aber alle Zellen ihre pigmentbildenden Gene abschalten, so dass jetzt ein heller Hintergrunds-Streifen entsteht (weil die Schnecke ja trotzdem weiterwächst). Dann werden wieder alle Zellen aktiv usw. usw.:


Also, so weit alles ganz einfach.
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 18.10.2021, 10:05

Nach diesem einfachen Prinzip können alle möglichen Formen und Muster gezeichnet werden. Aber wie entstehen komplexere Muster? Ganz einfach nach dem alten Prinzip.

Nehmen wir mal an, dass zu Beginn eine kleine Zone in der Mitte des Mantelrandes/-kante aktiv ist. Da werden jetzt also Pigmente gebildet. Dann, etwas später, teilt sich diese Zone. Es werden also in der Mitte keine Pigmente mehr gebildet (weil die entsprechenden Gene jetzt abgeschaltet sind) und die aktiven Bereiche "wandern" zu den beiden Seiten. Je nachdem, wie genau diese Wanderung erfolgt, bildet sich eine gerade Linie oder eine mehr oder weniger gleichmäßig gekrümmte Linie. Später wandern die beiden aktiven Zonen wieder zur Mitte zurück und vereinigen sich. So entsteht also eine Raute (bei geraden Linien), ein Oval oder ein kreisförmiger Kringel . Entsprechende Abbildung (die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen sind natürlich fließend!).



Zumindest kamen mir solche Dinge in den Kopf, als ich gerade eine „Kaurischnecke“ (Cypraeidae) und eine „Kegelschnecke“ (Conidae) in der Hand hatte. Ob das alles so stimmt, weiß ich auch nicht , aber halbwegs so ähnlich wird es wohl sein, denke ich.

Spannend wird es bei den Details der Gensteuerung (wie können Gene an- und abgeschaltet werden und welche Einflussfaktoren gibt es da?). Das führt hier aber zu weit………… .

Bei der Entstehung von Strickmustern mag es Parallelen geben. Davon habe ich aber nix Ahnung…….. . Ähnliches gibt es ja auch bei der Funktion eines PC-Druckers, nur dass hier eben die Epigenetik dahintersteckt.
Liebe Grüße: wolf
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon Rasplutin am 18.10.2021, 10:09

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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 18.10.2021, 10:17

Huhu Rasplutin,

danke für den Hinweis! Hatte ich inzwischen wieder völlig vergessen............. ;)

LG: wolf
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon Fusselnase am 18.10.2021, 18:35

Ja, das ist wirklich ein sehr spannendes Thema.
LG Paula
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 19.10.2021, 10:41

Hi,
das An- und Abschalten bestimmter Gene, die für die Pigmentbildung zuständig sind, kann auch durch Veränderungen der Umweltbedingungen ausgelöst werden (z.B. eine Veränderung des pH-Wertes der Umgebung, eine Variation der Nahrungsquellen oder der Temperatur).

Hier schnell noch mal ein kleines Beispiel für einen Muster-Wechsel nach einer Änderung der Lebensbedingungen. Vor einigen Jahren wurden mehrere Exemplare von Vittina usnea/Neritidae (ehemals: Neritina reclivata) unbeabsichtigt mit Wasserpflanzen-Material aus Guatemala (Lago Izabal / Rio Dulce) eingeschleppt (Süßwasser) und landeten in einem Warmhaus eines Botanischen Gartens mit einem großen Seerosen-Becken. Dort fand ich ein Tier etwa 6 Monate später frisch-tot. Die Abbildung zeigt zwei schwache „Wachstumskerben“ am Gehäuse, die frühere (1) mit einem deutlichen Wechsel der Linienführung. Diese Veränderung ließ sich dem Zeitpunkt des Einsetzens in das Warmhaus zuordnen. Naheliegenderweise unterschieden sich die genauen Umweltparameter im Lago Izabal von denen in einem niedersächsischen Warmhaus. Bemerkenswert ist auch die deutliche Variabilität aufeinanderfolgender Streifen. Nichtsdestotrotz findet in der Zone 1 eine signifikante Veränderung des Streifen-Verlaufes statt. Liebe Grüße: wolf

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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon Rasplutin am 19.10.2021, 11:23

Bei Änderung der Umweltbedingungen kann sich also die Pigmentierung ändern.

Hat sich schon jemand damit beschäftigt, ob aus der Pigmentierung auch Rückschlüsse auf die Umweltbedingungen gezogen werden können?
Das mag zwar auf Anhieb wenig sinnvoll erscheinen (die Bedingungen ändern sich ja nicht, oder etwa doch?), aber so ein schnöder Einwand darf nicht ablenken.

Ich werd mir die Häuser meiner Cornus ab jetzt genauer ansehen...
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 19.10.2021, 11:38

Juhu Rasplutin,

nach meiner bescheidenen Kenntnis ist dazu noch nichts bekannt. Insgesamt ist epigenetisch bei den Weichtieren bislang kaum gearbeitet worden.
Bei Bakterien und Säugetieren weiß man da schon einiges mehr. Wenn man sich z.B. das Enzym-Muster in Bakterien anschaut, dann sind naheliegenderweise Rückschlüsse darauf möglich, welche Nährstoffe im Medium offenbar vorhanden sind. Natürlich gibt es immer eine sehr enge Verzahnung von Umwelt und (Epi-)Genetik. Das wusste man/frau schon lange, aber jetzt ahnen wir so langsam die Details/Mechanismen.

Grüßli: wolf
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon Diana am 19.10.2021, 18:16

:danke: für diesen anschaulichen Thread. Einfach faszinierend, und wenn ich mal ganz viel Zeit habe tu ich mir auch das Buch an. Muß ich meine Schnecken mal genauer anschauen. Vor ein paar Tagen sind fünf Helix lucorum von einer Schneckenfarm bei mir eingetroffen. Bin gespannt, ob sich da was im Gehäusemuster signifikant ändert wenn sie jetzt im Terrarium gehalten werden und vermutl. auch ungewohntes Futter bekommen.
Ein Bierschnegel wird auch in der Bierfalle nie zum Blauschnegel
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 20.10.2021, 10:29

Huhu Diana,
ja, schau´ mal, ob es da kleine Veränderungen gibt. Manchmal muss man/frau schon genau hinschauen, wie bei der Vittina usnea oben. Wahrscheinlich sind ja auch unterschiedliche Schneckenarten nicht in gleichem Maße "sensibel" gegenüber einer Veränderung der Umweltfaktoren (bezüglich der Pigmentbildung). Bei Süßwasserschnecken wurde das geschilderte Phänomen bereits häufiger beobachtet.
Ja, ich sollte mir auch bei Gelegenheit mal das Buch von Meinhardt, H., Springer, 1997 besorgen und da mal ´reinschauen. Wenn nur meine Literaturliste von ungelesenen Arbeiten/Büchern nicht so lang wäre........... ;) .
Einen schönen Tag noch: wolf
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon Gelbhalsmaus am 20.10.2021, 18:07

Wenn ich das richtig versanden habe, haben Wasserschnecken deutlichere Ausprägungen bei Umwelteinflüssen, als Landschnecken?
Auch ja, herzlichen Glückwunsch zu deinen neuen Helix lucorum, Diana.
Rasplutin hat geschrieben:Bei Änderung der Umweltbedingungen kann sich also die Pigmentierung ändern.

Hat sich schon jemand damit beschäftigt, ob aus der Pigmentierung auch Rückschlüsse auf die Umweltbedingungen gezogen werden können?
Das mag zwar auf Anhieb wenig sinnvoll erscheinen (die Bedingungen ändern sich ja nicht, oder etwa doch?), aber so ein schnöder Einwand darf nicht ablenken.

Ich werd mir die Häuser meiner Cornus ab jetzt genauer ansehen...

Rasplutin, man könnte mit den Gehäusezeichnungen zurückverfolgen, wie z.B. das Klima für die Tiere wahrgenommen wird und wie extrem sie die Veränderungen spüren.
Viele Grüße von Gelbhalsmaus
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 21.10.2021, 08:48

Huhu liebe Gelbhalsmaus,

Du hast geschrieben: "Wenn ich das richtig versanden habe, haben Wasserschnecken deutlichere Ausprägungen bei Umwelteinflüssen, als Landschnecken?" und "man könnte mit den Gehäusezeichnungen zurückverfolgen, wie z.B. das Klima für die Tiere wahrgenommen wird und wie extrem sie die Veränderungen spüren."

Tja, wenn wir das heute alles so genau wüssten, wäre ich froh......... . Ich habe ja vorsichtigerweise nur geschrieben, dass eine Veränderung der Gehäusezeichnung infolge einer Variation der Umweltbedingungen bei Wasserschnecken bereits verschiedentlich beobachtet wurde. Nicht mehr und nicht weniger. Soweit die Tatsachen. Ob dieses Phänomen nun allgemeingültig (!) bei Wasserschnecken grundsätzlich häufiger auftritt als bei landbewohnenden Arten, das wissen die Göttinnen, aber ich nicht. Wir stehen da noch ganz am Anfang.
Toll, spannende Diskussion.
Liebe Grüße: wolf
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon wolf am 21.10.2021, 09:15

Liebe Gelbhalsmaus,

noch mal kurz zu Deinem gestrigen Beitrag: Dir ist vielleicht aufgefallen, dass ich mich bei meinen letzten Antworten in diesem thread hie und da ein wenig zurückhaltend ausgedrückt und nicht knallhart irgendetwas behauptet habe. Das hat den einfachen Grund, dass wir mit unserer Diskussion jetzt so langsam an der sogenannten "Front der Forschung" gelandet sind. Die Epigenetik ist eine vergleichsweise sehr junge Disziplin und bezüglich Schnecken ist da noch nicht so furchtbar viel gearbeitet/untersucht worden. Daher sind Rasplutins und Deine Ideen sehr spannend, aber dazu kann man momentan noch nichts Sicheres sagen. Es sind noch ganz viele Fragen offen und manchmal sind die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen auch noch widersprüchlich.
Erst seit wenigen Jahren wird z.B. intensiv herumgeforscht, ob nicht nur die Gene an sich von einer Generation an die nächste weitergegeben werden (das muss natürlich zwingend so sein), sondern auch bestimmte "Gen-Aktivierungsmuster". Das hätte auf mehreren Ebenen enorme Konsequenzen........... . Wir werden sehen.......... .

Liebe Grüße: wolf

Vgl. z.B.:

Fallet, M., Luquet, É., David, P. & Cossea, C. (2020): Epigenetic inheritance and intergenerational effects in mollusks. Gene, Elsevier, pp.144-166. 10.1016/j.gene.2019.144166. hal-02345327

Männer, L., Schell, T., Provataris, P., Haase, M. & Greve, C. (2021): Inference of DNA methylation patterns in molluscs - https://doi.org/10.1098/rstb.2020.0166
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Re: Wie entstehen die Muster der Gehäuse?

Beitragvon susann am 21.10.2021, 16:41

Eine Veränderung der Lebensbedingungen kann man bei Wf eigentlich oft an der Schale beobachten.
Ich meine das Temperatur die Farben/Muster verändert.
Bei den Craveni kann es fast zu streifenlosen Formen kommen ( beobachten konnte ich das bis 3 cm)wenn man sie kühler aufzieht.
LG
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