Zahn um Zahn

Hier geht es um wissenschaftliche Aspekte des Schneckenlebens.

Zahn um Zahn

Beitragvon wolf am 18.12.2008, 15:10

Ihr habt ja sicherlich alle schon oft Euren Schnecken beim Fressen zugeschaut und dabei bestimmt auch die mit Zähnchen besetzte Zunge entdeckt. Diese „Radula“ ist bei einer bestimmten Gruppe von Schnecken, den sogenannten „Vorderkiemern“, nach wie vor ein taxonomisches Kriterium, d.h. sie wird für die systematische Unterteilung dieser Gruppe in „Ordnungen“ oder „Oberfamilien“ herangezogen. Lungenschnecken haben auch eine Radula, aber für eine systematische Gliederung dieser Gruppe hat sich der genaue Aufbau des Fortpflanzungssystems weit besser bewährt als die bei allen Lungenschnecken recht ähnliche Radula. Des weiteren besitzen Schnecken üblicherweise noch einen Oberkiefer als eine Art Widerlager, der sich selbst bei eng verwandten Arten deutlich unterscheiden kann.
Natürlich gibt es inzwischen aber auch biochemische Verfahren, z.B. genetische Untersuchungen (DNA-Analysen), mit denen man versucht, Verwandtschaftsverhältnisse zu klären.
Wenn man sich eine Landschnecke auf die Hand oder den Unterarm setzt und die Haut zuvor mit ein wenig Mehlaufschwemmung versehen hat, dann spürt man sehr schön, wie die Radula (wie ein kleines Reibeisen) über die Haut gezogen wird (falls die Schnecke nicht gerade andere Sorgen hat, als zu fressen). Die Zähnchen der Radula wachsen beneidenswerterweise lebenslang immer wieder neu nach (daher sieht man Schnecken selten beim Zahnarzt).
Die folgenden Abbildungen zeigen, wie unterschiedlich das „Gebiss“ von Schnecken aussehen kann:
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon mennemaus am 18.12.2008, 15:26

Das sind sehr interessante Aussagen und tolle Fotos!
Ich hätte nicht gedacht, dass es bei der Radula so große Unterschiede gibt!
(Schnecke oder Hai müsste man sein - niemals zum Zahnarzt! :lol: )
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon Birte am 19.12.2008, 13:05

Das sieht ja echt toll aus!

Wie wurden diese Aufnahmen denn gemacht?
LG, Birte
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon wolf am 19.12.2008, 14:52

Hi Birte,
nun ja, bei lebenden Schnecken geht so etwas natürlich nicht (keine Sorge, ich habe deswegen nie Schnecken umgebracht!!). Ich habe ja viele verschiedene Schneckenarten gehalten, und irgendwann fallen sie halt bedauerlicherweise vor sogenannter Altersschwäche um. In tropischen Regionen lassen sich auch Exemplare verwenden, die in der glühenden Hitze sehr schnell sozusagen mumifiziert worden sind.
Die Präparation der Radula und des Oberkiefers erfolgt dann mit Hilfe von Kalilauge (KOH). Nach gründlicher Wässerung (und gegebenenfalls Ultraschall-Reinigung) werden die Präparate in einer aufsteigenden Alkoholreihe entwässert und zur Kontrastverbesserung gefärbt. Ich nehme dazu üblicherweise Boraxkarmin, was schöne, fein differenzierte Rot-Töne ergibt. Nach Xylol-Behandlung kann die Radula dann für die Lichtmikroskopie auf einem Objektträger als Dauerpräparat „eingebettet“ werden.
Für die Raster-Elektronenmikroskopie wird die Radula getrocknet und nach Standardverfahren mit Gold bedampft (Schichtdicke etwa 200 bis 300 Å).
Liebe Grüße: wolf
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon smilla am 19.12.2008, 14:55

Klasse Aufnahmen.
Super interessant.
Danke dafür.
Image Liebe Grüsse von Smilla Image
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon wolf am 19.12.2008, 15:04

Danke, ihr Lieben, macht ja Spass, und die Aufnahmen habe ich ja eh´. wolf
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon Birte am 19.12.2008, 15:36

Danke für die Erklärung!
Erzählst du auch noch, von welchen Schnecken die oberen beiden Bilder sind?
LG, Birte
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon wolf am 20.12.2008, 00:27

Juhu Birte,

Ja, gerne – so weit möglich. Also: die obere Radula (im Beitrag vom 18.12.08) mit den heftigen „Reißzähnen“ stammt definitiv von einer großen Wellhornschnecke (Buccinum undatum [Linné, 1758]), während einer Sturmflut an der Nordsee weit an Land gespült und knapp zwei Wochen später gefunden. Das Tier hatte sich leider inzwischen verabschiedet. Bei diesem Radula-Typ („stenogloss“) finden sich in jeder Zahnreihe nur drei Zähne, die aber dafür außerordentlich massiv sind. Die Wellhornschnecke ist zum Teil ein Krümelmonster, das verendete Tiere frisst (und damit eine ungehemmte Vermehrung von Bakterien verhindern hilft), sie greift aber auch gerne lebende Muscheln an. Dabei wartet sie ab, bis die aufgespürte Muschel ihre Klappen leicht öffnet, und schiebt dann schnell ihren Mündungsrand in den Spalt, so dass die Muschel ihre Klappen nicht mehr schließen kann. Was dann geschieht, kann man sich angesichts der Zähne vorstellen (vgl. Willmann, R.: Muscheln und Schnecken der Nord- und Ostsee – Verlag J. Neumann-Neudamm, Melsungen, 1989; S. 266).
Die untere Radula kann ich leider momentan noch nicht genau Art-technisch zuordnen; auf jeden Fall ein Süßwasser-bewohnender Vorderkiemer. Das muss ich noch klären; der Objektträger ist – leicht zwanghaft, wie ich zum Glück bin – in vieler Hinsicht beschriftet, aber noch nicht mit der Artdiagnose versehen, weil es da noch Unsicherheiten gibt. Ich habe vor zwei Tagen auf die Schnelle das zugehörige Leergehäuse nicht gefunden. Und ich will jetzt hier nicht herumspekulieren. Schluck, sorry.
Liebe Grüße: wolf
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon Birte am 20.12.2008, 12:59

Kein Problem ;)

Vielen Dank für die Infos! Du schreibst, die Wellhornschnecke hätte 3 Zähne pro Reihe. Sind das dann die beiden dunkleren auf den Seiten und der hellere in der Mitte mit den 6 mini-Zähnen?
LG, Birte
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon wolf am 20.12.2008, 14:51

Juhu Birte,

genau, es sind (hier) wirklich nur drei Zähne pro Reihe, wobei jeder einzelne Zahn noch Fortsätze (= „Dentikel“) besitzt, besonders lang und dramatisch bei den Zähnen an der Seite. Unsere menschlichen Backen- und Mahlzähne haben ja auch oben Höckerchen. Ähnlich dem menschlichen Gebiss sind auch die Querreihen einer Radula meist spiegelsymmetrisch aufgebaut (Ausnahmen gibt es natürlich auch, siehe z.B. Giftzähne der Kegelschnecken). Wenn sich die Dentikel übereinanderliegender Zähne der Radula dann noch überlappen, wird das Bild etwas unübersichtlich. Witzigerweise gibt es auch bei der Radula „persönliche“ Unterschiede, d.h. Exemplare derselben Art können sich im Detail auch unterscheiden.

Da fällt mir gerade ein: bei der Weinbergschnecke (= Helix pomatia) gibt es etwa 170 (Quer-)Reihen mit jeweils 140 bis 150 Zähnen (die dann wie winzige Häkchen wirken), das macht dann um die 24000 Zähne. Bei meinen wenigen Zähnen habe ich schon manchmal Probleme, genau zu sagen, welcher Zahn wehtut. Die o.g. Zahlen habe ich aus älteren Originalarbeiten von Ankel, Forcart, Märkel und anderen.
Anbei noch schnell ein kleiner Ausschnitt der Radula von einer Spitz-Schlammschnecke, Lymnaea stagnalis (Linné, 1758), die ich mal lange im Aquarium hatte (laut Literatur etwa 100 Reihen mit je 130 Zähnen). Etwas rechts von der Bildmitte kann man die sogenannten „Mittelzähne“ ahnen.
O.k., liebe Grüße: wolf
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon Lamento am 20.12.2008, 16:15

Ich versuch mir grad 24000 Zähne vorzustellen. Zum Glück ist die Weinbergschnecke so klein hihi
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon wolf am 29.12.2008, 20:02

Juhu,
noch mal schnell die kleine Ergänzung:
habe eben noch mal in meinen Aktenordnern herumgewühlt: die untere Radula im Beitrag vom 18.12.2008 stammt von einer Stumpfen Sumpfdeckelschnecke Viviparus viviparus (L., 1758), die ich längere Zeit im Aquarium gehalten habe. Die Radula ist hier „taeniogloss“, d.h. in jeder Querreihe befindet sich beidseits des Mittelzahnes (den man hier ja sehr gut erkennen kann) ein Lateralzahn und ganz außen liegen zwei Marginalzähne. Die „Zahnformel“ (einer Querreihe) ist also: 2 1 1 1 2.
Liebe Grüße: wolf
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon Anna am 07.03.2014, 14:34

Woher hast du die Bilder ?
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon Käsebrötchen_99 am 07.03.2014, 15:10

Wolf ist nicht mehr im Forum, aber ich würde fast sagen, dass das einfach ein Präparat unter dem Mikroskop war, was mit so einer Kamera am Mikroskop fotografiert wird.
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Re: Zahn um Zahn

Beitragvon Birte am 09.03.2014, 14:38

Wolf hatte doch auch auf meine Nachfrage hin direkt erklärt, wie die Bilder entstanden sind ;)

wolf hat geschrieben:Hi Birte,
nun ja, bei lebenden Schnecken geht so etwas natürlich nicht (keine Sorge, ich habe deswegen nie Schnecken umgebracht!!). Ich habe ja viele verschiedene Schneckenarten gehalten, und irgendwann fallen sie halt bedauerlicherweise vor sogenannter Altersschwäche um. In tropischen Regionen lassen sich auch Exemplare verwenden, die in der glühenden Hitze sehr schnell sozusagen mumifiziert worden sind.
Die Präparation der Radula und des Oberkiefers erfolgt dann mit Hilfe von Kalilauge (KOH). Nach gründlicher Wässerung (und gegebenenfalls Ultraschall-Reinigung) werden die Präparate in einer aufsteigenden Alkoholreihe entwässert und zur Kontrastverbesserung gefärbt. Ich nehme dazu üblicherweise Boraxkarmin, was schöne, fein differenzierte Rot-Töne ergibt. Nach Xylol-Behandlung kann die Radula dann für die Lichtmikroskopie auf einem Objektträger als Dauerpräparat „eingebettet“ werden.
Für die Raster-Elektronenmikroskopie wird die Radula getrocknet und nach Standardverfahren mit Gold bedampft (Schichtdicke etwa 200 bis 300 Å).
Liebe Grüße: wolf
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